Vom Sieg über die Klischees
23.11.2008
Kieler Nachrichten vom 23. November 2008
Philharmonisches Konzert mit Johannes Willig und dem Solisten Paul Meyer im Schloss
Von Christian Strehk
Kiel - Ganz wird Peter Tschaikowsky den von Adorno böse pointierten Anwurf, der russische Höchstromantiker porträtiere selbst die Verzweiflung mit Schlagermelodien, nie ganz abschütteln können. Doch gelungene Konzerte wie das Philharmonische am Sonntagmorgen können dazu positiv beitragen. Johannes Willig, der zweite Generalmusikdirektor am Kieler Pult, lässt durch sein vitales und präzises Dirigat Jedenfalls nicht ansatzweise zu, dass Tschaikowskys Vierte Symphonie f-Moll op. 36 jemals banal, brutal oder weinerlich wirkt. Stattdessen herrscht im gleichermaßen federnden, knackigen wie reaktionsschnellen Spiel der Philharmoniker der gute Geist strenger, gelegentlich unerbittlicher Genauigkeit wie man ihn - jawohl - gerade bei russischen Interpreten erlebt. Gefühliges Gesäusel und tonnenschweres Schicksalsgepränge ist nämlich eine Erfindung des Westens.
Willig wählt aktive, auf Zug ausgerichtete Tempi und sorgt dafür, dass prägnant artikuliert wird. Besonders profitiert davon der langsame Satz, der von der Oboen-Melodie tatsächlich „einfach, aber graziös" eingeführt wird und sich leicht und eben nicht larmoyant entfaltet. Effektvoll schnurrt das Zupfen im dritten Satz, beeilen sich die Bläser Paroli zu bieten. Zum hinreißend explosiven Siegestaumel wird das Finale.
Vor der Pause geht es nicht minder spannend und gespannt zu. Zwar klingt Aulis Sallinens Opus 63 von 1989 gegenüber Carl Nielsens sechs Jahrzehnte älterem Klarinettenkonzert op. 5 7 wie der nette Vorfilm zu einem verwirrend modernen Drama, doch erreicht die Sunrise Serenade den Hörer auf anderen Kanälen. Der Dialog der beiden -voneinander entfernt platzierten und schön geblasenen - Solo-Trompeten (Thilo Schramm und Thomas Sheibels) wird von Willig und den philharmonischen Streichern mit finnischer Klarheit ausgeleuchtet. Dass die Sonne auch in Nielsens Konzert aufgeht, hat bisher noch niemand behauptet. Aber das leicht sperrige, für seine hohen technischen Ansprüche nicht nur im Solo-Part gefürchtete Spätwerk des dänischen Nationalkomponisten muss ebenso wenig wie Tschaikowskys Schaffen in ingrimmiger Grübelei ersticken.
Der Franzose Paul Meyer, der in der dünnen Luft auf dem Klarinetten-Olymp seinen Platz neben der Namenvetterin Sabine Meyer und einigen wenigen anderen behauptet, lässt seinen elegant schlanken Holzbläser-Ton souverän durch die oft verquer virtuosen Läufe eilen, lässt ihn angriffslustig aufblitzen und blütenzart schweben. Da auch Willig gleich ein auffällig frisches Tempo anschlägt, Transparenz geprobt hat und im Finale sogar das Groteske betont, kommt der Gedanke an Weltabschiedsschmerzen des herzkranken Komponisten nicht penetrant auf. Die Momente inniger Verstiegenheit aber, so scheint es, kristallisieren sich dadurch sogar deutlicher heraus - zumal der Elsässer Paul Meyer hier seine Klasse voll ausspielt. Anhaltendem Beifall folgt eine edel geblasene, tiefsinnige Zugabe aus der Welt der vermeintlich leichtgewichtigen „Unterhaltungsmusik": Stephen Sondheims Musical-Ballade Send in the Clowns.
Das lohnende Konzert wird heute um 20 Uhr im Kieler Schloss wiederholt. Eine gute Einführung ins Programm bietet die neue Konzertdramaturgin Eva Heußel um 19.15 Uhr im Fördefoyer. Karten: Tel. 0431 / 901 901 und an der Abendkasse.