Instrument des Jahres: Klarinette



Das geheimnisvolle Sauschwanzerl

07.10.2008

Was junge Klarinettisten beim Landesmusikrat-Meisterkurs von Sabine Meyer und Reiner Wehle lernen konnten, von Christian Strehk -

Kieler Nachrichten, 07.10.2008

Lübeck – Wenn von der Klarinette als „Instrument des Jahres" die Rede ist, führt an der Lübecker Musikhochschule kein Weg dran vorbei. Dort lehrt mit Sabine Meyer und Reiner Wehle ein Musiker-Ehepaar, das wegen seiner exzeptionellen Qualität junge Holzbläser aus aller Welt anlockt. Bei einem vom Landesmusikrat organisierten Meisterkurs war hautnah zu erleben, was diese Qualität ausmacht.

Die Meisterin protestiert: "Halt, halt. Das kannst Du mit unserem wunderbar reaktionsschnellen Pianisten machen, weil er immer treu bei Dir bleibt. Aber mit Orchester geht das schief. Die Streicher haben da doch durchgehende Achtel", verweist sie auf die Partitur. „Und wenn du agogisch da etwas Freieres machen willst, musst du das deutlich ankündigen." Agneta Sieweke, als Jahrgang 1984 eine der ältesten der vierzehn Kursteilnehmer, lauscht den goldenen Worten und dem im wahrsten Sinne anschaulichen Spiel Sabine Meyers. Beide arbeiten an dem virtuosen Solo-Part eines der herrlichen Konzerte Carl Maria von Webers.
Obwohl Sieweke das Werk und seine Tücken schon eindrucksvoll beherrscht, lohnt die Auseinandersetzung mit Meyers kritischen Anmerkungen, die oft mehr einfordern als die technisch perfekte Bewältigung. „Ich höre zu viel Beschäftigung mit den Klappen... oh mei", sprudelt es aus der 1959 im fränkischen Crailsheim Geborenen heraus. „Einfach nur etwas agogisch Einstudiertes abzurufen, ist manieriert und kalter Kaffee. Man erreicht die Leute nicht. Man muss führen und unbedingt wollen, dann rührt es an..." Dabei sei es dann auch ganz egal, ob technisch irgendetwas nicht hundertprozentig funktioniert. „Die Hörer verzeihen das dann", so Meyer, die allerdings bei ihren kleinen, wunderschön gespielten Zwischenspielen nicht den Eindruck aufkommen lässt, es könne jemals irgendetwas bei ihr technisch nicht funktionieren. Kalten Kaffee schenkt sie selber sowieso nie aus. Entscheidend aber ist: Agneta Sieweke profitiert. Ihr Spiel wird freier, organischer, kecker. Mehr kann ein Meisterkurs nicht wollen.
Etwas später stößt mit Reiner Wehle nicht nur Meyers 1954 in Kiel geborener Ehemann, sondern auch die zweite Klarinetten-Größe in der Lübecker Musikhochschule hinzu. Er hatte nebenan Einzelunterricht erteilt und bringt nun verbal einen „Workshop" in Schwung, der den Teilnehmern „keine Antworten geben", sondern sie zum Fragenstellen verleiten soll. „Spielt nicht einfach den Blödsinn, der in den Ausgaben steht", ergänzt Meyer einen zentralen Aspekt stets angebrachter Musiker-Skepsis.
Gegenstand der aktuellen Skepsis ist ausgerechnet das zentrale Heiligtum: Mozarts Klarinettenkonzert. Wehle bohrt in den Köpfen der Meisterkurs-Schüler, was sie denn wirklich wissen über das Werk. 1791 komponiert, jawohl, letzte Lebensmonate, schön schön. Und schon istman mit dem Latein am Ende. Dass es wohl für eine Bassettklarinette geschrieben wurde und alle jungen Klarinettisten ein Arrangement für die A-Klarinette spielen, das erst 1801, also lange nach Mozarts Tod gedruckt wurde und auch nicht von ihm stammt, ist schon eine wesentliche Irritation, die Wehle geradezu lustvoll auf Deutsch und Englisch auslöst. Alles weitere ist eine spannende Odyssee durch die Quellengeschichte: Wie Anton Stadler, Mozarts Wunder-Bassettklarinettist und
Freund, mit dem Gepäck wahrscheinlich das Originalmanuskript abhanden kam; wie man alte Instrumente und Konzertplakate wiederfand; oder dass durchaus eine handschriftliche Skizze Mozarts zum Klarinettenkonzert existiert, die Aufschluss über manche Note gibt. Im Plenum erwacht jetzt doch der Forschergeist. Während Sabine Meyer nun auf der Bassettklarinette mit ihrem weiten TonAmbitus jedes A-Modell locker deklassiert, gilt es gemeinsam neu darüber nachzudenken, ob die nötigen Oktavierungen nicht auch anders, geschmeidiger, stilgerechter, ja richtiger im Sinne von Mozarts Skizze ausgeführt werden können, als es die viel gespielte Edition aus dem Jahr 1801 vorgibt.
Und während schon eifrig probiert wird, hat Wehle zum Schluss noch ein Bonbon. Im ersten Satz des Mozart-Konzertes gibt es Fermaten, die nicht mit einer ausgewachsenen Solo-Kadenz zu nutzen sind, sondern eine hübsche kleine Drehfigur als Verzierung angemessen erscheinen lassen. Und wie heißt die so schön in Mozarts österreichischer Heimatsprache: "Sauschwanzerl".

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Kieler Nachrichten vom 07.10.2008
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