Instrument des Jahres: Klarinette



Vom Sieg über die Klischees

24.11.2009

Kieler Nachrichten vom 24.11.2009

Philharmonisches Konzert mit Johannes Willig und dem Solisten Paul Meyer im Schloss

 

Kiel - Ganz wird Peter Tschaikowsky den von Adorno böse pointierten Anwurf, der russische Höchstromantiker porträ­tiere selbst die Verzweif­lung mit Schlagermelodien, nie ganz abschütteln kön­nen. Doch gelungene Kon­zerte wie das Philharmoni­sche am Sonntagmorgen können dazu positiv bei­tragen.

Von Christian Strehk

 

Johannes Willig, der zweite Generalmusikdirektor am Kieler Pult, lässt durch sein vi­tales und präzises Dirigat je­denfalls nicht ansatzweise zu, dass Tschaikowskys Vierte Symphonie f-Moll op. 36 je­mals banal, brutal oder wei­nerlich wirkt. Stattdessen herrscht im gleichermaßen fe­dernden, knackigen wie reak­tionsschnellen Spiel der Phil­harmoniker der gute Geist strenger, gelegentlich uner­bittlicher Genauigkeit wie man ihn - jawohl - gerade bei russischen Interpreten erlebt. Gefühliges Gesäusel und ton­nenschweres Schicksalsge­pränge ist nämlich eine Erfin­dung des Westens.

Willig wählt aktive, auf Zug ausgerichtete Tempi und sorgt dafür, dass prägnant artiku­liert wird. Besonders profitiert davon der langsame Satz, der von der Oboen-Melodie tat­sächlich „einfach, aber grazi­ös" eingeführt wird und sich leicht und eben nicht larmoy­ant entfaltet. Effektvoll schnurrt das Zupfen im dritten Satz, beeilen sich die Bläser Paroli zu bieten. Zum hinrei­ßend explosiven Siegestaumel wird das Finale.

Vor der Pause geht es nicht minder spannend und ge­spannt zu. Zwar klingt Aulis Sallinens Opus 63 von 1989 ge­genüber Carl Nielsens sechs Jahrzehnte älterem Klarinet­tenkonzert op. 57 wie der nette Vorfilm zu einem verwirrend modernen Drama, doch er­reicht die Sunrise Serenade den Hörer auf anderen Kanä­len. Der Dialog der beiden -voneinander entfernt platzier­ten und schön geblasenen - So­lo-Trompeten (Thilo Schramm und Thomas Sheibels) wird von Willig und den philharmo­nischen Streichern mit finni­scher Klarheit ausgeleuchtet. Dass die Sonne auch in Niel­sens Konzert aufgeht, hat bisher noch niemand behauptet. Aber das leicht sperrige, für seine hohen technischen An­sprüche nicht nur im Solo-Part gefürchtete Spätwerk des dänischen Nationalkomponis­ten muss ebenso wenig wie Tschaikowskys Schaffen in in­grimmiger Grübelei ersticken.

Der Franzose Paul Meyer, der in der dünnen Luft auf dem Klarinetten-Olymp seinen Platz neben der Namensvette­rin Sabine Meyer und einigen wenigen anderen behauptet, lässt seinen elegant schlanken

Holzbläser-Ton souverän durch die oft verquer virtuo­sen Läufe eilen, lässt ihn an­griffslustig aufblitzen und blütenzart schweben. Da auch Willig gleich ein auffällig fri­sches Tempo anschlägt, Trans­parenz geprobt hat und im Fi­nale sogar das Groteske be­tont, kommt der Gedanke an Weltabschiedsschmerzen des herzkranken Komponisten nicht penetrant auf. Die Mo­mente inniger Verstiegenheit aber, so scheint es, kristallisie­ren sich dadurch sogar deutli­cher heraus - zumal der Elsäs­ser Paul Meyer hier seine Klasse voll ausspielt. Anhaltendem Beifall folgt eine edel geblase­ne, tiefsinnige Zugabe aus der Welt der vermeintlich leicht­gewichtigen „Unterhaltungs­musik": Stephen Sondheims Musical-Ballade Send in the Clowns.

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