Instrument des Jahres: Klarinette



Die Spitze des Eisbergs

22.10.2008

von Jörg Meyer -

Kieler Nachrichten, 22.10.2008

Salzau - "Hey, das war jetzt elegant", lobt der Lübecker GMD Roman Brogli-Sacher den "weichissimo"-Einsatz der Hörner, wenn im 1. Satz von Tschaikowskys Pathétique, das berühmte Andante-Thema anhebt. Mit dem Landesjugendorchester probt Brogli-Sacher in der 49. Arbeitsphase außerdem Verdis Ouvertüre zu Macht des Schicksals und Krommers Konzert für zwei Klarinetten und Orchester Es-Dur, op. 91 mit den Solisten Sabine Meyer und Reiner Wehle.

Wenn die Geigen das Pathétique-Thema in hymnische Höhen treiben, wenn es in den Celli warm glimmt, ist das freilich nur die Spitze des Eisbergs in Tschaikowskys geradezu sagenumwobenem Werk, das er im Herbst 1893 nur wenige Tage vor seinem Tod noch selbst uraufführte. Streicherpräzision ist in den Katakomben der Pathétique gefordert, dort wo es im Seelenuntergrund pocht. Deshalb hat Brogli-Sacher zur Morgenprobe zunächst nur die Streicher bestellt, um die verwunschenen Gewölbe wasserdicht zu machen. Am Fundament der Bratschen wird minuziös gefeilt, nicht nur in Sachen Intonation bei Achteln und Sechzehnteln, die man auch einfach hinhuschen könnte. Doch der Dirigent will jeden Ton ganz scharf, bis hinein in die Bogentechnik, ob man ihn mit Auf- oder Abstrich nimmt.

Im vorsichtigen Schleichgang bewegen sich erst die oberen, dann die unteren Bratschen durch die Unterwelten. "Und jetzt flicken wir die Einzelteile zusammen", ermutigt Brogli-Sacher die konzentrierten Arbeiter im Bratschen-bergwerk. Allerdings jetzt "im doppelten Tempo und richtig mit Druck und Attacke". Ein Kraftakt, der selbst beim Probenzuhörer den Schweiß auf die Stirn treibt, aber belohnt wird, wenn sich die Spannung des dunklen Mergelns löst, weil am Ende das Licht des Andante-Themas den Tunnel erleuchtet. Davor ist allerdings noch ein flinker Lauf der ersten Geigen in schwindelnde Höhen zu erklimmen. Der Kraftakt ist jetzt einer der Intonation. Und da darf zur Not auch mal "markiert" werden. "Wenn's nicht klappt, machen alle den Lauf, und nur einer spielt den Zielton", überlegt Brogli-Sacher. Doch die jungen Musiker (Durchschnittsalter des Ochesters in diesem Jahr: 17,6) sind jetzt begeistert genug, dass sie auch diese Hürde nehmen wollen. Pfuschen kommt sozusagen nicht auf die Saiten.

Der Motor der Bratschen läuft jetzt auch im martialischen Allegro-vivo-Teil ungemein rund, und so steht der erste Satz nach einer Stunde hoch-konzentrierter Probenarbeit zumindest vonseiten der Streicher. Nun kommen "die Hölzer" und das Blech dazu, für die es in den Pathétique-Katakomben auch allerlei Ecken und Winkel gibt, in denen man sich verirren könnte. Schon gleich zu Beginn, wo ein düsteres E im Pianissimo vom Kontrabass angestimmt und vom Fagott aufgenommen wird. Immer nochmal lässt Brogli-Sacher diesen raunenden Auftakt spielen, bis die Balance zwischen sauberster Intonation und dem nötigen "Espressivo" gefunden ist. Für den "Kollegen Fagott" keine leichte Aufgabe, da das Instrument auf diesem Ton schlecht anspringt. "Lass dir Zeit", beruhigt Brogli-Sacher. Wichtiger als rhythmische Präzision sei hier die des Tons. "Da ist sonst nichts, was dir weglaufen könnte, wir warten auf dich."

Und so ist es in Tschaikowskys Gewölben auf einmal nicht mehr so einsam und dunkel, denn was hier wispert, steuert auf den gemeinsam gesungenen Hymnus zu, den das Orchester und sein Dirigent dann umso erleichterter und gleichsam als lockernde Entspannungsübung von aus den Tiefen wieder Aufgetauchten spielen.

Abschlusskonzerte des Landesjugendorchesters am Sonnabend, 20 Uhr, im Kieler Schloss (Kartentelefon: 0431/1490124) und am Sonntag, 19.30 Uhr in der Lübecker MuK. Benefizkonzert zu Gunsten der Lübeck-Hilfe für krebskranke Kinder, Kartentelefon: 0451/79904400.

 

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Kieler Nachrichten vom  22.10.2008
Kieler Nachrichten vom 22.10.2008